Veröffentlicht bei Ad Fontes International
Ausgabe Januar 2024
Versuch einer Einbringung der alten Glaubensbilder in unsere Zeit
(1.Teil)
Von Dietrich Kothe
Auf der Zielgeraden seines Lebens
befindlich (und das ist schließlich seit Geburt der Fall), scheint es angebracht
zu sein, den mutmaßlichen Endpunkt näher ins Auge zu fassen. Auch schadet es
nicht, sich die Frage zu stellen, weshalb man überhaupt unterwegs ist (wohl
wissend, dass diese nur glaubend beantwortet werden kann, bevor das eigene
Omega überschritten ist).
Inhalt
Versuch der
Einbringung der Glaubensbilder in unsere Zeit
A. Der Beginn des
Kosmos nach gegenwärtiger Vorstellung
B. Zur
schöpfungsbezogenen Anschauungen der Ursache allen Seins
C. Zum Menschsein
und der Göttlichkeit
D. Bemerkungen zur
Beseeltheit
E. Einlassung zur
Verantwortungshaltung
F. Dem christlichen
Kerngebet begegnen mit den Erkenntnismöglichkeiten unserer Zeit
F. a) Die
Bethandlung als solche und ihre möglichen Positionen
F. b) Zur biblischen
Aussage bezüglich des Betens
G. Gebetsformel:
Deine heilige Hand über alles Sein
H. Kulthandlungen
besonderer Form
I. Vermerke zur
Eucharistie aus katholischer Sicht
J. Einlassung zur
Entwicklung der Bibelworte
Vorbemerkung
I.
Die Glaubensfreiheit ist uns (lt. GG 4) zugesichert – wir benötigten nur
noch den Glauben, um diese Freiheit wahrnehmen zu können. (Nach einem sarkastischen Wort zur
Gedankenfreiheit, Karl Kraus zugeschrieben.)
Es fällt den im heutigen
Wissensstand Aufgewachsenen und nicht bereits in eine Glaubenswelt sozusagen
Hineingeborenen allerdings schwer, sich bei ihrer Glaubenssuche an überkommenen
biblischen Bilderwelten zu orientieren. Dass sich die Kirchen äußerlich
strukturell wandeln müssten, ist zwar eine unumgängliche Notwendigkeit zu ihrer
Selbsterhaltung. Das öffnete allerdings nicht schon den Zugang zu ihrer
religiösen Glaubenswürdigkeit für die rational geprägte, meist religionsferne
Denkweise der Zeitgenossen.
Der kritische Blick auf unsere
frühkindlich grundgelegte, umfeldlich beeinträchtigte
Prägung ermöglichte es uns, unsere Selbstgewichtung aus unserer
"Man"-Haltung* und unserer angepassten Alltäglichkeit in einem
wirklich selbstbestimmten Dasein zu verorten. Aber auch diese Zubilligung einer
eigenständigen Wesenheit entledigte uns nicht, ist sie glaubenlos,
der Hilflosigkeit gegenüber der quasi tragischen Ausweglosigkeit des Daseins. *(Martin Heidegger, »Der Begriff
der Zeit«, Tübingen 1989, S. 13 ff.)
III.
"Warum ist überhaupt Sein und
nicht viel mehr nichts?" (Martin Heidegger, "Einführung in die
Metaphysik", Tübingen 1987, S. 1) Diese Frage scheint unsinnig zu
sein, da sie nie zu beantworten sein wird. Dagegen hat die Astrophysik
Erklärungen für den Beginn und in Verein mit anderen Naturwissenschaften für
viele der Gegebenheiten des Universums gefunden.
Dem vor gut einem Viertel Million
Jahren aus den Hominiden heraus entwickelten Homo sapiens hat sich im steten
Wandel schließlich Bewusstsein in einem über die rein vitalen Bedürfnisse
hinausreichenden Maße gebildet. So begab sich das menschliche Wesen wohl, wie
künstlerische Hinterlassenschaften an Höhlenwänden bezeugen, in Erkundigungen
zu seinem Dasein, jedenfalls in Abbildung desselben. Rein dieszeitlich
bezogen, ergaben sich ihm zumeist die entsprechenden Lösungen vielfach
zwangsläufig. Anders verhielt es sich allerdings wie bei uns Heutigen noch beim
Überzeitlichen, das gelegentlich im Denken sichtbar wird. Das Woher und Wohin
der Existenz macht zumindest zunächst ratlos. Es wird folglich verdrängt oder
treibt einen zu Mutmaßungen. Wird nun die alltägliche Begegnung erinnert, dass
alles eine Ursache hat, nämlich reale, also in der Wirklichkeit fassbare und
ideale, demnach nur vorgestellte Dinge und Vorgänge, so erscheint einem die
Einsicht, dass alles Gegebene als Gebilde eines wirkenden Gesamt zu denken sein
könnte. Mit diesem als Urgrund allen Seins Erkannten kann ein Schritt auf
dem Glaubensweg getan werden, bei dem diese Kraft schließlich als Göttlichkeit zu
setzen wäre. Wobei es sich lohnen könnte, einen Blick auf das mythische Erbe
des Christentums zu werfen.
Versuch der Einbringung der Glaubensbilder in unsere Zeit
A. Der Beginn des Kosmos nach gegenwärtiger Vorstellung
Wir gehen heute aus von einer vor
gut achtzehn Milliarden Jahren gegebenen Basissingularität (George Lemaitre: Uratom). Diese könnte religiös als Schöpfungsvorstellung betrachtet werden und
daher die mit frühzeitlichen Erkenntnismöglichkeiten überlieferte
Paradiesvorstellung bereichern (in welcher bereits der Fortgang der Entwicklung
des Schöpfungsgeschehens mit Ausdrucksmitteln der Genesiszeit abgebildet ist).
In der als unermessliche
Energieballung vorgestellten Basis lag demnach alles das Universum Bestimmende
als unendlich bildungs- und wandelbarer Grundstoff, versehen mit sozusagen
einer Genetik allen Werdens vor. Der Kosmos ist demnach gekennzeichnet durch formende Selbstkraft. Dieses Gestaltungsvermögen der
Elemente, das von uns allen in allem zu beobachten ist, wäre als Abbild des
Göttlichen zu betrachten, nämlich als Gabe und Auftrag des Seins schlechthin.
Und in religiöses Denken geleitet, könnten wir hierin das Gestaltende, in
steter Zuwendung zu ihrer Schöpfung Getragene der göttlichen Kraft erblicken.
Jegliches Seiende war bereits in der unermesslichen Fülle des Schöpfungsaktes
grundlegend vorhanden – als Akt der in der Verkündigung zitierten Fülle der göttlichen
Zuneigung. Alles, was ist und noch werden wird, war gegeben und bestimmt zum
naturgesetzlich beeinflussten Fortschreiten. Diese Selbstentfaltung konnte seit
Beginn des Kosmos zu günstigen oder auch misslichen Gegebenheiten führen und
damit selektierend die Entwicklung darstellen. (Als
simpler Vergleich zum Prozedere des Schöpfungsprozesses könnte die künstliche
Intelligenz erwähnt werden, denn KI funktioniert, indem auf einen konkreten
Befehl hin ein eigenständig operierender Algorithmus aus einem schier
unendlichen Vorrat, z. B. von Sprachmaterial, systematisch bündelt, sodass ein
geeigneter Text entsteht.)
Was daraus mitunter als ziellose Geworfenheit allen Seins durch die
Schöpfung erscheinen mag, scheint dennoch von einem, allerdings nicht mit Verstandesmitteln,
sondern nur glaubend zu ergründenden Geheiß versehen zu sein: nämlich der
Entwicklung zur Vollendung hin, die im Geleit der Bewährung im Sein in der
Schöpfung einhergeht. Also fordert das selektive Evolutionskonzept der
kosmischen Entwicklung religiös zur Annahme einer ethischen Basisströmung der
Bewährung im Sein mit dem Ziel der Vollendung heraus.
Da alles Sein, mit Kräften ausgestattet, in seinem Werden und Wandel im
Entstehungsakt bereits vorgehalten war, nichtet sich die Vorstellung eines
steten Eingreifens des Urgrundes allen Seins, der Göttlichkeit. (Nach Karl-Heinz Ohlig, Theologe, „Die Welt ist Gottes Schöpfung“, Mainz
1984, S. 109) So beantwortet sich auch die Frage nach Bestehen der vielen Unbilden, ohne
dass sich die Schöpfungskraft lindernd einschaltete. (Die
menschliche Fähigkeit aber, sich selbst sogar etwa in autosuggestiver Qualität
zu beeinflussen – beispielsweise mittels vertieften Betens – könnte zur
Erweckung der Selbstheilungskräfte und Bewältigung des Leids beitragen, zumindest
aber als seelischer Kräftigungsakt wirken, auch die persönliche
Widerstandskraft, Resilienz, fördernd. So ist eine mitunter als Wunder
bewertete Spontanheilung durchaus auch als Gabe des Urgrundes allen Seins zu werten.
Sie sollte als eine Schöpfungsgabe einer natürlichen Veranlagung betrachtet
werden.)
Die eingangs erwähnte
Basissingularität weitete sich aus, was (zunächst abwertend) als Urknall
bezeichnet wurde. (Forschungen George Lemaitres und Edwin Powell Hubbles) Alles Elementliche
befindet sich, wie erwähnt, in einem immerwährenden Verlauf der Gestaltung. Die
Grundelemente Energie, Masse und Bewegung können (nach Albert Einsteins E=m∙c2,
dass Energie gleich Masse mal potenzierte Bewegung ist) verstanden und in ihrem Verhalten
(z. B. mathematisch) umstellend als Wandlungsform begriffen werden.
Ist das unabdingbare Kennzeichen
der sich zum Universum weitenden Ausdehnung durch die angesprochene stete
Entwicklung all ihrer Elemente gekennzeichnet, so kann nicht Prädestination, also
Vorgegebenheit, angenommen werden: Den Vorgängen wesentlich ist dargelegte
Entfaltung, aus der keine Vorherbestimmung der Gebilde und Begebenheiten als Heilsplan
Gottes zu folgern ist. (Fraglich ist das wohl von Augustinus ausgehende, sich bei Luther in der
Form des „Gnadenwohls“ findende Heilsvorherbestimmtsein,
auch ohne Verdienst. Andererseits widerspräche die möglicherweise daraus zu
folgernde Annahme eines vorherbestimmten Verworfenseins,
auch ohne Schuld, dem christlichen Erlösungsgedanken.) Der Schöpferwille scheint also
versehen zu sein mit der erwähnten Gabe des Wandels allen Seins – abhängig vom
Grad des Bewusstseins des Homo sapiens, auch von diesem bis zu einem
beschränkten Grad gelenkt – und dadurch zur Vollständigkeit (religiös:
Vollendung) als schöpferische Absicht führend.
B. Zur schöpfungsbezogenen Anschauungen der Ursache allen Seins
Nichts kann aus einem Nichts
entstehen. Das Nichts ist philosophisch ein weites Feld: Es gilt Gläubigen in
der jüdisch-christlichen Kosmologie als Grund der Schöpfung mit der Behauptung,
Gott habe die Welt aus dem Nichts geschaffen: "[...] aus dem Nichts
erschaffen [...]" (Makkabäer 7,28) (Ungewiss, ob diese Annahme auch Thomas von Aquin unterstellt werden kann,
da bei ihm vor der Schöpfung außer Gott nichts gewesen sei. Denn auch er stand
zu der klassischen Formel, dass aus nichts nichts
entstehen kann.) Wir sehen die Bestätigung dieses Ex nihilo nihil
fit auch bei Kant: "Nichts ist ohne bestimmten Grund." (Karl Jaspers, "Die Gründer
des Philosophierens", München 1957, S. 186) Im Übrigen finden wir diese
Erkenntnis bereits bei Parmenides: "[...] es könne aus Nichtseiendem irgendetwas anderes als eben
Nichtseiendes hervorgehen." ("Die Fragmente der Vorsokratiker",
Hermann Diels, Berlin, 1922, S. 148 f.) Das kommentiert hingegen Martin
Heidegger aus existenzphilosophischer Sicht: "Dass jedoch das Nichts nicht
etwas Seiendes ist, schließt keinesfalls aus, dass es auf seine Weise zum Sein
gehört." ("Einführung in die Metaphysik", Heidelberg 1987, S. 85)
Ein Nichts (auch wenn es allgemein
begrifflich notwendig auf eine fehlende Vorhandenheit
weist, und zwar entweder in der Bedeutung des Fehlens von z. B. Eigenschaften
oder als völlig fehlendes Sein) nichtet sich im religiös Ursächlichen. Denn
alles, was ist, ist aus dem Urgrund allen Seins.
Daraus ist aus dem Blickwinkel
christlichen Schöpfungsverständnisses zu schließen: Da nichts aus einem Nichts
sein kann, dieses Nichts sich nach philosophischer Vorstellung also nichtet,
ist auch ein Vergehen in ein Nichts ausgeschlossen. Denn alles Sein ist
christlich schöpfungsgläubig nur als Geschaffenheit
aus dem ewigen Urgrund allen Seins, der Göttlichkeit, zu verstehen.
Aus neueren Forschungen aus dem
Bio-Physikalischen könne rein naturwissenschaftlich abgeleitet werden, dass die
Unsterblichkeit der als Bewusstseinsfaktor begriffenen Seele eine fortdauernde
Existenz gegeben sei. Es wird dabei von der Überlegung aus der Quantenmechanik
ausgegangen, welche die zeitliche und räumliche Eigenheit der Quanten, ihre
Ortsunschärfe, in Betrachtung zieht und von Vervielfältigung und Übertragung
ausgeht.
[Eine Theorie zur
"Erforschung des Bewusstseins und damit der Seele heißt 'Orch-OR' (ORCHestrated Objective Reduction) und wurde in
den 1990er Jahren von den Physikern Roger Penrose und Stuart Hameroff entwickelt. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde,
dass das Bewusstsein innerhalb der Neuronen und nicht durch Interaktionen
zwischen ihnen (was allerdings die Mehrheitsmeinung darstellt) entsteht. Nach
der 'Orch-OR'-Theorie ist das Bewusstsein eine Welle,
die im Universum der subatomaren Teilchen schwingt. Die Mikrotubuli
fungieren als echte Quantencomputer, die diese Schwingungen in verwertbare
Informationen umwandeln. Laut dieser Theorie verlieren die Mikrotubuli
in einem Zustand vor dem Tod ihren Quantenzustand, behalten aber die in ihnen
enthaltenen Informationen bei. Laut Hameroff hört
beim Tod "das Herz auf zu schlagen, das Blut fließt nicht mehr, die Mikrotubuli verlieren ihren Quantenzustand. Die
Quanteninformationen in den Mikrotubuli würden hingegen
nicht zerstört, sie könnten nicht zerstört werden, sie verteilten sich einfach
und lösten sich in das Universum auf." ('Orch-OR'-Theorie©Bereitgestellt von Showbizz
Daily International – Internetveröffentlichung 2024)] Eine Ergänzung dazu könnte lauten:
Die Seinsinhalte finden sich in der Sphäre des
Urgrundes allen Seins wieder.
Alles Sein hat seine Ursache
außerhalb seines eigenen Seins. Alles Sein hat demnach ein anderes Sein als
Anlass seiner Existenz.
Folglich ist auch der Kosmos aus
einem Sein außerhalb von sich entstanden.
An diesem Punkt entsteht die
Möglichkeit, hoffend fortzufahren und damit gedanklich in Erwartung zu gelangen
(dass alles aus dem Ursprung allen Seins wandelbar, aber als Abbild von diesem
nicht endlich ist). Dieser Hoffnung mit vielleicht bereits
Überzeugungscharakter kann auch als Begleitgefühl Glauben erwachsen: Das die
kosmisch ursprüngliche Singularität verursachende Sein, dabei als Gottsein
begriffen, habe seine Ursache in einer unendlichen Folge der Eigenbegründung.
Dem Göttlichen ist demnach die Selbsthervorbringung wesentlich – und zwar
entgegen der erwähnten Folgerung der Hervorbringungen des Universums aus
jeweils einer Ursache außerhalb vom eigenen Sein. Das Göttliche ist folglich
als Urgrund allen Seins zu begreifen. Und zwar in der Weise des den
Gegenstandsbereich des in der Erfahrung Gegebenen, des in der
diesseitsbezogenen Dingwelt Vorhandenen
vorangestellt, nämlich als Schöpfungskraft. Dadurch gelänge auch dem
kritischen, rational fundierten Verstand der gedankliche Aufbruch in den
Bereich des Übersteigenden, nämlich Jenseitigen, und in Glaubenswelten.
Im Christlichen lastet allerdings bei der Darstellung des Göttlichen auf
den Glaubenden die schwer zu erschließende Vorstellung der Dreifaltigkeit. Die drei Personen werden zwar genannt "[...]
tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ (Matthäus 28,19) Als Trinität erscheinen sie jedoch an keiner Stelle des Evangeliums. (Karl-Heinz Ohlig, Theologe, "Ein Gott in drei Personen", Homburg 2013, hier
Web-Veröffentlichung, S. 125)
Bei der Dreifaltigkeit / Dreieinigkeit ist von der verkünderischen
Vorgabe des Jesus von Nazareth auszugehen (der darin allerdings von seiner
gewiss jüdischen Prägung, die eine bestimmende, vermenschlichende Personifizierung grundsätzlich meidet,
abwich). In der
Sprache der Verkündigung gilt (im Übrigen in allen Jenseitslehren) seit je der Zugang zur Bewusstmachung der Göttlichkeit
anscheinend zwingend die Vermenschlichung ihres transzendenten Seins (im
Christlichen) mit den Begriffen von Vater und Sohn – die dritte Seinsform als göttliche Person oder göttliche Kraft.
Im Alten Testament erscheint Geist Gottes, z. B. in Genesis 1,2:
"Gottes Geist schwebte über dem Wasser" und Psalm 104,30:
"Du sendest aus deinem Atem [...]".
Die trinitätstheologischen Auseinandersetzungen beginnen im Christentum
erst in Folge zunächst des Konzils von Nicäa (325 n. Chr., auf dem die
Wesenheit Jesus' mit Gott gegen die
Auffassung der Arianer geklärt wurde). Erst das Konzil von Konstantinopel
brachte 381 für die "Pneumatologie", dass der Heilige Geist mit
Gott-Vater und Gott-Sohn eine der nun drei Personen oder
Hypostasen (Seinsweisen) Gottes als dritte Person zu betrachten ist. Der
Heilige Geist erscheint im Neuen Testament an verschiedenen Stellen
ausdrücklich, z. B. "Maria empfängt Jesus durch den Heiligen Geist"(Matthäus 1,18–20); "Der Heilige Geist kommt bei der Taufe auf Jesus herab" (Matthäus
3,13–17). Die Eigenständigkeit des Heiligen
Geistes, die Vorstellung als dritte Person der Göttlichkeit und die Verehrung
neben Vater und Sohn bildete
sich also erst heraus. "[...] Augustin legte in seinem Werk De Trinitate die Grundlage für das abendländische Verständnis
des Geistes als personalisierte Gemeinschaft von Vater und Sohn (communio), der als Liebesgabe (vinculum
amoris) beide verbinde und daher sowohl vom Vater als
auch vom Sohn ausgehe [...]" (Mathias
Haudel, Theologe, Gotteslehre, 2011)
Die Westkirche betrachtet das Entstammen des Geistes aus dem
Vater und dem Sohn, während die Ostkirche lehrt, der Geist gehe aus
dem Vater durch den Sohn hervor. (nach Julia Gerth, Theologin, Pneumatologie, 2015) Klarer zu erkennen als von der personenbetonten Auffassung der
Göttlichkeit(en) her ist es von der Perspektive der Hypostasen, der
Seinsweisen, aus: Die Göttlichkeit erscheint als erschaffend, begeistend, erlösend.
C. Zum Menschsein und der Göttlichkeit
Betrachtet man beispielsweise die
Erzählung des Neuen Testaments vom Versuchtwerden des
Gottessohnes (z. B. bei Markus und Lukas), und zwar ohne die dort aufgeführte
Teufelsgestalt in Betracht zu nehmen. Er (wahrer Gott und wahrer Mensch) begab
sich durch die Annahme des wahren Menschseins auch in die menschliche
Versuchung zum Bösen in sich und das stete Ringen um die richtige Entscheidung.
Ist es nicht aus der im Evangelium dargestellten Begebenheit möglich, das
Ringen des Menschen Jesus mit seiner mit Ihm vereinigten allmächtigen
Göttlichkeit herauszulesen? So ergäbe sich dieses Bild: In den an anderen
Stellen des Neuen Testaments aufgeführten Wunder Jesus' begab Er sich in seine
schöpferische Göttlichkeit als Mittel des Beweises seiner damit zur Offenbarung
erhobenen Botschaft. Hingegen widerstand Er der Versuchung der
Gottesstaatlichkeit: "Alle Reiche der Welt / alle Macht und
Herrlichkeit". Da hierdurch Sein Schöpfungsgrundsatz aufgehoben gewesen
wäre. Denn dieser besteht neben der Entwicklungs- und Entscheidungsfreiheit
auch in der Herausforderung des mit weitentwickeltem Bewusstsein begnadeten
Menschen zur eingesetzten Bewährungsforderung. Einen in seine Schöpfung direkt
eingreifenden und ausgleichend zugetanen göttlichen Weltenherrscher wäre durch
sich selber die grundlegende Zielsetzung aus der Hand genommen und in ein
dauerhaft paradiesisches Weltengeschehen gesetzt (das solchergestalt im Übrigen
auch sinnlos wäre, weil es – wie erwähnt – der offensichtlichen Intention der Schöpfung
widerspräche, die in der Bewährung des Seins in seiner Geworfenheit zu
erblicken ist).
[Das Bedürfnis der
Personifizierung des Transzendenten, nämlich des die reale Erfassbarkeit
Übersteigenden, begründete sich im menschlichen Bewusstsein im Fortschreiten
seiner kognitiven Ausweitung während der Evolution durch das von ihm zunächst
entwickelte ideelle Sein als Ursache seiner Wahrnehmungen. Mit der also nur
gedanklich zu schaffender Auffassung vom Grund der Dinge und Ereignisse des
eigenen Umfeldes drängte sich ihm als Lösung all des seine Einsichtmöglichkeit
Überschießenden auf. Reale Gestalt verleihend, wurde es natürlichen
Gegebenheiten und Beobachtungen, magisch wirkungsverheißend ausgestattet,
zugeschrieben und mythisch erzählerisch ausgeweitet. Schließlich gelangte es
zur verbindlichen Glaubensvorstellung, zudem rituell umfasst, über das Private
hinausreichende Markierung gesellschaftlichen Handelns. Im Fortgang geistiger
Entwicklung zu philosophischer Qualität schritt die Seinsvorstellung
zur Auffassung von einem Glauben an eine Urgrundlichkeit
allen Seins, und zwar auch in Sich auf die Ur-Bildlichkeit in Platons
Ideenlehre – neuplatonisch gedacht, von der Ausstrahlung des obersten
Weltprinzips. Diese Glaubensbegründung wurde weiterhin begleitet, getragen,
mitunter sogar überlagert von Elementen magischer – nämlich ereignisgläubiger –
und mystischer – nämlich erzählender phantastischer Gebilde.
Diese Zuflucht im schließlich irdisch
Erfassbaren ist auch im Altjüdischen aufgeführt. Der "Engel des
Herren" spreche "aus flammendem Busch" (2. Mose 3). Dieses
Abweichen von der rein vergeistigten Eingöttlichkeit
fand in der Anbetung des goldenen Kalbes seinen alttestamentarischen Höhepunkt.
Mehrgöttlichkeit und Glaube an Göttlichkeit, z. B. von Tieren, hat sich
vermutlich auch noch nach Hiskijas/Ezechias Reform im siebten Jahrhundert v.Chr. erhalten,
welche eigentlich zur alleinigen Verehrung JHWHs (2. Buch der Könige 29,1)
führen sollte.
Die Vorstellung realpersönlicher
Göttlichkeit lässt sich ebenfalls am Fortschreiten der menschlichen Reifung, der
Entwicklung vom Kindes- zum Erwachsenenalter, im Grunde an der Evolution
schlechthin aufzeigen. Als Vorstufe des rationalen Denkens tritt bei
Kindern magisches Denken etwa in Form des Glaubens an Wirkungen von
Zauberei, Beschwörungen oder Wunschdenken auf. (Sabine
Schrader, Psychologie, München 2008) Die Phantasie als wahrnehmungsfreie
Vorstellung (Aristoteles) und deren Einschätzung als Wirklichkeit spielt dabei
eine ausschlaggebende Rolle. Magisches Denken besetzt ein weites Feld in der
menschlichen Ideenwelt. Annahmen bei magischem Denken zeigen sich mitunter
darin: "[...] es gebe übernatürliche Fernwirkung; Gegenstände könnten
Eigenschaften ihrer Besitzer übertragen; Dinge, die eine Eigenschaft gemeinsam
haben, seien auch in anderem ähnlich; man könne die Außenwelt durch Worte,
Formeln, Sprüche oder bloße Gedanken beeinflussen; die Zukunft sei
vorhersehbar, bestimmte Dinge oder Vorgänge hätten eine Vorbedeutung, auch ohne
Verbindung mit künftigen Ereignissen; Symbole, zum Beispiel Amulette,
hätten eine Wirkung; bestimmte Menschen hätten übernatürliche Kräfte
oder könnten Wesen mit solchen Kräften in ihren Dienst bringen; Geister, Götter
oder Geheimgesellschaften könnten voneinander getrennte Ereignisse oder
Phänomene verbinden." (Thomas Günter, Frankfurt, 2010) Siegmund Freud
formulierte die im Grunde alte Erkenntnis, dass unser Handeln auch aus dem
Unterbewusstsein motiviert ist, und zwar in nicht ausschließlich
kontrollierbarer Weise. Über die Kindheit hinaus wirken also immer auch
Elemente frühen magisch-mystischen Denkens selbst bei rational orientierten
Menschen nach, selbstverständlich graduell sehr unterschiedlich. Für unsere
Zeit könnte gelten: "Heute nun ließe sich ein Übergang zum 'mystischen
Denken' ('post-rationales Denken') erkennen." (Ken Wilber,
2016) Der Anthropologe Edward Burnett Tailor prägte den Begriff
„assoziatives Denken“ als eine Form des vorrationalen, magischen Denkens [...]
(E. E. Evans-Pritchard, 1977)]
Der bewusste, kritische Umgang mit
den magisch-mystischen Inhalten des Glaubenslebens könnte allerdings durchaus
zur Glaubensbelebung führen, wie das beim Wissen um die Dinge des Daseins für
gewöhnlich der Fall ist. Bedenklich erscheint hingegen, dass die Zahl Glauben
praktizierender Katholiken in den quasi aufgeklärten Ländern der Welt stark
rückgängig ist, während beispielsweise in Afrika, mit seinen dem sozusagen
geistig Archaischen näherstehenden Menschen, die Zuwendungszahlen steigen.
D. Bemerkungen zur Beseeltheit
Die Ausweitung der
Anfangssingularität (des Lemaitre‘schen Uratoms) führte bekanntlich zu Bildung von
Elementen mit innerer Ladung, Bewegtheit, Bindungsverhalten usw. Vor etwa fast
fünf Milliarden Jahren entstand die Erde, auf der sich die Entwicklung vom
Unbelebten auch zum Belebten bewegte, das in einer seiner Ausformungen in
Richtung Menschsein fortschritt. Aus der Gruppe der Primaten führte die
Wandlung zum Homo erectus mit all seinen Abzweigungen, und es folgte der Homo
sapiens. Letzterem erwuchs zunehmend Bewusstsein (allerdings als "Baum der
Erkenntnis" biblisch gewissermaßen verteufelt – was vielleicht, mit dem
Blick auf die persönliche Entwicklung vom kindlichen Unbefangensein
zur erwachsenen kritischen Grundhaltung und damit als Paradiesverlust bildlich
ausgemalt betrachtet werden könnte). Der sich entwickelnde Verstand und die
darauf aufbauend wertende Vernunft ermöglichte "der Krone der
Schöpfung", des Menschen als entscheidungsfähiges Wesen, sich planerisch
und vorausschauend einzustellen und vor allem in seiner Eigenschaft der
Gruppengebundenheit Verantwortungshaltung zu entfalten und Regeln zu
formulieren. Diese Zieleigenschaften der Entfaltung des Homo sapiens sind als
die fortschreitende Begabung, die kognitive Ausweitung, und als die in der
Schöpfungsgeschichte aufgezeigte Beseelung zu begreifen. Seele ist als
geistiger, nämlich göttlicher Kern der körperlich bedingten Seelenhülle, der
Psyche, zu erkennen.
So sei am Ende des göttlichen
Schöpfungsvorgangs laut Genesis der Mensch geschaffen worden: nach der bildlich
dargestellten Formung des Körpers, schließlich die "Behauchung", Begeistung, Beseelung – unter evolutionärer Anschauung.
Wird dieser Vorgang der
Artenentstehung mit heutigen Erkenntnissen betrachtet, bereichert sich das
Bild, das ursprünglich mit den Erkenntnismöglichkeiten der Zeit (etwa des
siebten vorchristlichen Jahrhunderts) der Niederschriften des
Schöpfungsvorgangs entstanden war.
E. Einlassung zur Verantwortungshaltung
Mit Entwicklung des Bewusstseins
und seinem Träger dem Ich des Homo sapiens ist dieser in die Lage und
Verpflichtung der verantwortlichen Steuerung geraten. Denn er ist zum
Interessenausgleich von Mein und Dein befähigt, verfügt über Zielgerichtetheit,
Planungs- und Vorstellungsvermögen und hat das Sterblichkeitsbewusstsein, aus
dem ihm eine Jenseitsahnung erwächst.
Eine Rolle spielt in seiner
Geworfenheit zunächst der Umgang mit den Gefühlslagen, etwa dem Glück, der
Lust. Ferner ist ihm die Bildung einer Haltung zu Gütern, Werten und Leistung
ein Bedürfnis. Dem kann er (allerdings nur) nach Maßgabe seiner ihm gegebenen
Befähigungen gerecht werden. Über die Selbstregulierung hinaus entwickelt sich
ihm im Wir-Bewusstsein die Bindung an Richtmaße des Über-sich-Hinausseins.
Wobei zu erkennen ist, dass eine Gruppe mit Wir-Bewusstsein nicht nur die Summe
ihrer Glieder verkörpert, sondern mit ihrer Formung eigene Merkmale entwickelt.
Das führt in ihr mitunter zu Ich-fremdem Verhalten des Einzelnen. Hierin
erscheint die Eigenheit des Rollenverhaltens: Die Verfasstheit des Sich-Gebens
unterscheidet sich bei jedem entsprechend der jeweiligen Gruppenauftritte und
hängt allerdings in Form und Ausmaß vom Selbstbewusstsein des Einzelnen ab.
Allgemein kann gelten: Die
geltenden Regeln der Haltung und Entscheidung bilden sich in den
Verhaltensmustern einer gesellschaftlichen Ordnung (nach Aristoteles).
So entsteht Verhaltens-Norm durch
gesellschaftliche Mehrheiten und wird als statistische Norm sichtbar;
gruppenbedingte Leitfäden erscheinen als ideale Norm; letztlich wird in der
persönlichen Auswahl daraus die situative Norm (Peter Robert Hofstätter,
Sozialpsychologe, "Psychologie", Frankfurt 1957, S. 219 f.) Bei Letzterer als persönlich
gehandhabter, alltäglich moralischer Verhaltensweise wird gewöhnlich unterschieden
die Muss-Erwartung (etwas ist nur in bestimmter Weise zu handhaben) von der
Kann-Erwartung (etwas kann so oder anders erfolgen) – dazwischen liegt die
Soll-Erwartung.
Bei der sich nach Mehrheiten
richtenden Norm ist zu unterscheiden die sich in einem über die Zeiten im sog.
Kulturkreis entstandene und durch Überlieferung weitergetragene Form
(beispielsweise unser bürgerlich aufgeklärtes Verhalten) von den durch
gegenwärtige Umstände sich bildenden und verbreitenden Denk- und
Verhaltensweisen. Sind Brauch und Sitte verhältnismäßig stabil, ändert sich der
zeitgebildete Gesinnungshorizont mit dem Wandel der Gegebenheiten.
Die ideale Norm, dargestellt in
Regelwerken wie Gesetzen und Verordnungen, entsteht mittels Abstimmung in als
zuständig anerkannten Gruppierungen. Eine Besonderheit stellen die Gebote des
Religiösen dar, sie erscheinen als Glauben-gesteuerte Offenbarungen, die als
solche ebenfalls von als zuständig geltenden Einrichtungen erklärt werden. Sind
Erstere wandelbar in Veränderung von den sie bildenden Mehrheiten, welche die
Zuständigkeit besagter Gruppierungen bestimmen, handelt es sich bei religiösen
Geboten um weitgehend unveränderliche Muss-Erwartungen. Ihre Beeinflussung
geschieht nur im Wege des Wandels ihrer Auslegung.
Bei Betrachtung der situativen
Norm ist zunächst festzustellen, dass es sich dabei überwiegend um die
Verhaltensregelung im Grunde jedes Einzelnen im Alltag handelt. Stets ist
abzuwägen, wie weit man sich nach sich Wandelndem seiner gesellschaftlichen
Sphäre oder nach eher stabilen Leitfäden gesetzlicher oder gar gebotlicher Vorgaben richtet.
Bei der Verhaltensregelung des
idealen Normbereichs spielt ein in gänzlicher Entsagung mündendes Bestreben
bezüglich natürlicher Antriebe eine als zweifelhaft einzuschätzende Rolle. Sie
stellt eine Überzeichnung an sich notwendiger Regelungen dar. Ihre Begründung
reicht jedoch von Belanglosigkeiten (wie die äußere Erscheinung) über
Willensstärkung bis ins religiös Jenseitige (erlangen der Seligkeit). In
verschiedenen Religionen steht diesbezüglich die Sexualität im Vordergrund. Im
Katholischen gilt als schwere Verfehlung, wenn beim sexuellen Vollzug die
Zeugungsabsicht ausgeschlossen ist. Diese überwiegend auf Reproduktion, also
auf Vermehrung bezogene, zwar sich auf das gottgegebene Naturrecht berufende
Idealnorm vernachlässigt jedoch die Erkenntnis der seelisch viel weiter reichenden
Bedeutungen der Sexualität.
So kann allein der ausgewogene,
verantwortliche Umgang mit den natürlichen Antrieben, den Grundbedürfnissen,
nämlich vom Bewegungs-, über den Nahrungs- bis hin zum Geschlechtsdrang und
schließlich den dem Selbsterhaltungsdrang entspringenden Bedürfnissen nach
Anerkennung und Geltung als seelisch und körperlich angemessen gelten. Dabei
ist allerdings die grundsätzlich gegebene Freiheit der Entscheidung nicht als
uneingeschränkt verfügbares Gut zu betrachten.
Der Autor und Bildhauer Dietrich Kothe (*1938) Studiendirektor a.D. ist
durch verschiedene literarische und bildhauerische Werke, auch unter seinem
Pseudonym Hannes Kothe-Opperau, bekannt. In seinem
literarischen Schaffen (in Epik und Lyrik) steht der Mensch, häufig aus
existenzphilosophischer Sicht, im Mittelpunkt. Sein bildhauerisches Material
ist zumeist Holz. Weiterführendes in: Confessio20 - Notizen zur Glaubenssuche
in unserer Zeit, Aachen 2021. In einem zweiten Teil wird sich der Autor mit dem
christlichen Gebet und Gottesdienst beschäftigen.
Zur 2. Ausgabe von Ad Fontes –
International April 2024
Versuch einer Einbringung der alten
Glaubensbilder in unsere Zeit
(2.Teil)
Von Dietrich Kothe
F. Dem christlichen Kerngebet begegnen mit den Erkenntnismöglichkeiten
unserer Zeit
Wie erwähnt, zählt zu den
menschlichen Fähigkeiten, sich selbst sogar etwa in autosuggestiver Qualität zu
beeinflussen – beispielsweise mittels vertieften Betens. Diese könnten zur
Erweckung der Selbstheilungskräfte und Bewältigung des Leids beitragen,
zumindest jedoch als seelischer Kräftigungsakt wirken. So ist eine mitunter als
Wunder bewertete Spontanheilung durchaus auch als Gottesgabe zu betrachten.
Sie sollte als eine Schöpfungsgabe einer natürlichen Veranlagung angesehen
werden.
F. a) Die Bethandlung als solche und ihre möglichen Positionen
Sie kann Bedeutung-erforschend
also interpretierend gedacht werden: Dabei ist das Gebet als ein im Maße der
Konzentration auf gänzliche Bewusstheit psychisch aufbauender, stärkender Akt
zu betrachten. Es gilt in diesem, die Bedeutung der Formeln zu erfassen, zu
vertiefen und gegebenenfalls in ihrer Auslegung zu weiten. Dazu nachfolgend das
Beispiel zum Vaterunser.
Zum anderen kann die Gebetsübung
als reiner Wortvollzug praktiziert werden. Diese sozusagen Vokabulisierung erfolgt unter Abschaltung
von Denkfunktionen und einem quasi Hineinfallenlassen in die rein verbale
Verrichtung der Gebetformeln, beispielsweise im Rosenkranzgebet. In Steigerung
kann das sogar erfolgen in einem Betgesang – mitunter
in anderer Sprache, zum Beispiel Latein. Die sich einstellende regulierende,
reduzierende Körperlichkeit (z. B. des Herzschlags) ist Erfahrungstatsache und
wissenschaftlich belegt (Padua 2010).
(Wenn jedoch Sprache als Bildungsorgan des Denkens zu
verstehen ist (wie es W. v. Humboldt sieht), wäre auch dem Sprachniveau, der
Sprachverwendungsebene, und der Wahl des Ausdrucks Augenmerk zu widmen – vor
allem bei der Umsetzung der interpretierenden Gebetsform.
Es ist hierbei hingegen nicht auszuschließen, dass die
herkömmliche, auch in der Übersetzung aus dem Lateinischen noch von
tridentinischem Charakter gekennzeichnete Ausdrucksweise die Entrücktheit von
der banalen Alltäglichkeit fördern. Und dies besonders bei älteren Menschen,
die in dieser Sprachritualität aufgewachsen sind,
denen diese – jungen Zeitgenossen allerdings archaisch fremde Sprechweise –
eingeprägt und zur Gewohnheit innewohnend ist.)
In der Glaubenspraxis kommt bei
den meisten Betern eine Mischform beider Möglichkeiten zur Anwendung, und zwar
gepaart mit Abschweifungen aller Art.
Formell ist im Allgemeinen von
Bedeutung der rituell gefasste und strukturierte Vorgang des Betens als
Alltagsgläubigkeit in gemeinschaftlicher Identifikation mit sich
gleichschaltend Handelnden.
Grundsätzlich jedoch ist Beten als
eine Aufbruchhandlung zur Erlangung des schöpferisch
gegebenen Potenzials zu begreifen. Beten ist als Aktivierung der dem Menschen
in der Evolution zugewachsenen Bewusstseins-Fähigkeiten zu erfassen und
anzuerkennen, und zwar bis hin zu Funktionen der Heilung und halluzinativer
Einstellung – im Ausnahmefall auch außergewöhnliche Zustände erzeugend, nahe
dem parapsychologischen Ereignisbereich.
F. b) Zur biblischen Aussage bezüglich des Betens
Jesus habe seinen Jüngern den
Auftrag erteilt, das von Ihm vorgestellte, sozusagen Kern-Gebet zu sprechen.
Jesus hat jedoch seine Lehre weder selber niedergeschrieben noch die Weisung
erteilt, sie in Buchstaben zu fassen und auf diese Weise festzuschreiben. Es
ist daraus zu folgern, dass es unbedingte Glaubensübung ist, sich um die
Bedeutung des überlieferten Gesagten zu bemühen. Denn die Sprache unterliegt
seit je einem Wandel und ist immer auch Erzeugnis aus
dem Zeitgeist – und Übersetzungen sind immer auch kreative Handlungen. So
fallen (fest-)geschriebene Worte allmählich aus der Zeit. Fügt man dem an, dass
die Niederschrift der Überlieferung der Jesusworte bekanntlich etwa ein
Menschenleben nach dessen Hinscheiden vom Aramäischen über das Griechische ins
Lateinische und schließlich in die Landessprachen erfolgte, so ist von
erheblichem Sprachwandel auszugehen, der die Inhalte zumindest zum Teil in
fernes Licht rückte.
Zum Vaterunser:
Vater unser, Urgrund allen Seins.
Wir beten Dich an durch Jesus
Christus im Heiligen Geiste.
Geheiligt ist Dein Sein.
Dein Reich werde in uns.
Dein Wille geschehe an uns.
Unser tägliches Brot gib Seele,
Geist und Leib.
Vergib uns unsere Fehler.
Verleihe uns die Kraft, denen zu
vergeben, die an uns schuldig geworden sind.
Führe uns aus der Versuchung.
Und löse uns aus unseren
Befangenheiten, die Ursache unserer Fehler sind.
(Auch: Erleichtere uns von uns für
den weiten Weg zu Dir.)
Begründung zu dieser Auslegung des
Vaterunsers:
Die Bezeichnung mit der irdisch
geprägten, geschlechtsgebundenen Benennung 'Vater' dient als Darstellung der
Nähe und Verbundenheit der Allursächlichkeit der Göttlichkeit – kann jedoch
logisch ergänzt werden.
Die Anbetung 'durch' (mit Hilfe /
als Vermittler) Jesus Christus 'im' (in seinem) Heiligen Geiste ist der
Versuch, die unfassbare Trinität zu benennen, die 'wir' anbeten. Der Name ist
(vollendet, 'wird' nicht erst in Zukunft) geheiligt.
"Dein Reich komme, Dein Wille
geschehe" wird: Dein Reich werde in uns, Dein Wille geschehe an uns. Die
im währenden (da stets im Gange befindlichen) Schöpfungsakt gegebene Entstehung
des Gottesreiches in uns bewirken – sich erbeten. Ist sie nicht in uns
begründet, kann sie auch nicht in die Welt gelangen – die göttliche
Willensverwirklichung an uns vollzogen sehen, macht sie auch umfeldlich wirksam, den Gedanken ans Gottesreich in uns
vollendend. Bei diesen beiden Versen des Gebets kann davon ausgegangen werden,
dass sich uns in der willentlich schaffenden und gestaltenden Urkraft allen
Seins, der als Göttlichkeit erscheinenden Gestaltlichkeit,
Selbstsein darstellt. Dieses Grundsein allen Seins legt in sein schaffendes
Begehren, das in der Anfangssingularität gegeben war und weiter ist, seine
Wesenheit, zu der alle Entwicklung zu führen begabt ist – und sich im Vers "Dein
Reich werde ..." sprachlich wiederfindet. Es stößt also Entwicklung in
diese Richtung an (die durch ein verstärktes Sich-nach-innen-Kehren zu steigern
ist).
Das Gebet als das Bemühen
betrachten, aus der unendlichen Fülle der schöpferischen Gaben, den
erforderlichen Abruf zu tätigen, um sie zur Wirkung zu führen. Und damit den
Wirkbereich des Schöpfers auf Seine Gegebenheiten des Einflusses auf das Sein
zu tätigen: Das stellte das Bitten um Gotteshilfe dar. Und zwar im bemühenden
Gestalten, an der veranlagten Fülle des Ursprungs allen Seinkönnens
teilzuhaben, sozusagen in Selbstgestaltung – oder einfach im Abruf dessen. In
dieser Eigengestaltung könnte die Einsicht liegen, eine Art der schöpferischen
Ebenbildlichkeit gespendet bekommen zu haben. Es kann unterstellt werden, dass
eine solche Haltung stabilisierende, stärkende seelische Nebenwirkungen
zeitigt.
Du vergibst uns, so wie wir ...
Die Bitte um Vergebung ist
begleitet von einer zweiten Bitte, nämlich der um die Gnade, die Kraft, all
denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Denn in der Regel sind
wir, meist emotional gebunden, viel zu schwach zum Verzeihen.
Die Bitte darum, nicht in
Versuchung zu fallen oder zu geraten – oder auch aus der Versuchung
herausgeführt zu werden. Die Darstellung: "Führe uns nicht in
Versuchung" ist nach heutigem Sprachverständnis eher abwegig. Sie lässt
Gott als Versucher erscheinen. Das ist durch den Sprachwandel begründet, denn
in alter Zeit stand "Versuchung" für Prüfung. Statthaft wäre auch:
"Führe uns in der Versuchung", besser "aus ihr heraus".
(Sondern) erlöse uns aus unseren
Befangenheiten, die Ursache unserer Fehler sind (die Bezeichnung 'Sünden'
scheint vielen Zeitgenossen ein abgenutzter, eher überstrapazierter Begriff zu
sein). Ein diesem und jenem Verfallen-zu-Sein hindert uns an wirklicher Umkehr.
Schließlich die Versicherung an
die Göttlichkeit als die Energie des Ursprungs allen Seins zu glauben (die
archaische, aus dynastischer Zeit stammende Formel von Macht, Kraft und
Herrlichkeit sollte als überholt gelten).
G. Gebetsformel: Deine heilige Hand über alles Sein
Da alles aus dem unendlichen
Urgrund allen Seins, der Göttlichkeit, hervorgegangen ist, kann es ebenfalls
als unendlich begriffen werden. Denn es ist davon auszugehen, dass alles bestehende und sich im Wandel noch bildende / verändernde
Sein – wie bereits erwähnt – in der Anfangssingularität in unendlicher Vielfalt
der Möglichkeiten vorgehalten ist. Ferner erscheint es als sicher, dass sich
daraus der Schöpfungsvorgang Kosmos-lang in seiner ihm verliehenen
Regelungskraft, beispielsweise der Naturgesetze, fortentwickelt zu in ihrer
Beständigkeit unterschiedlichen Formen.
Das Beten kann verstanden werden
als eine Abrufhandlung aus dem möglichen Vorrat – was beispielsweise durch
Tätigkeiten der gesteigerten Gerichtetheit, wie Meditation, sogar zu steigern
ist. So gesehen und schließlich gehandhabt, wirkt die Bethandlung
als Beteiligung zumindest im Kleinen, Persönlichen, aber immerhin am
Wandlungsgeschehen der Schöpfung.
Aus all dem Erörterten ist es
angesagt, die als Segenshand des Urgrundes allen Seins, der Göttlichkeit,
betrachtete über alles aus dem Schöpfungsgeschehen Hervorgegangene in die
schlichte Gebetsformel einfließen zu lassen: "Deine heilige Hand über
alles Sein". Und dieses Erbeten gerade aus der Ahnung heraus, dass alles
Geschaffene zu seinem Ursprung zurückkehren werde. Womit die Verbundenheit über
alles Versagen hinweg, mit dem menschlichen Begriff Liebe bezeichnet, der
Göttlichkeit mit Ihrer Hervorbringung nur irdisch verstandlich
umrissen sein kann (was allerdings gegen die Annahme ewiger Verdammnis
spräche). Das in der Begrifflichkeit Gläubiger seit je und in allen
Glaubensgebilden gegebene Bedürfnis, das Jenseits zu gliedern, muss damit
allerdings nicht als angezweifelt gelten. Der menschliche Verstand in seiner
vergleichenden und gegenüberstellenden Denkweise scheint Himmel und Hölle als
Bestandteil von Glauben zu benötigen.
H. Kulthandlungen besonderer Form
Riten sind gestaltete
Wesensäußerungen, die im menschlichen Beisammensein als bedeutende Elemente zu
begreifen sind. Sie wirken zumindest als Mittel der Kommunikation.
Im Allgemeinen und auch auf
religiösen Glauben bezogen, könnte etwa in Betracht gezogen werden: Dass
Handlungsweisen sich aus einer Vorstellung und/oder Notwendigkeit ergeben. Sie
kommen in Gebrauch, erhalten durch Wiederholung den Charakter von Gewohnheiten,
"gehen einen in Fleisch und Blut über". Womit das jeweilige Begründen
ihrer Handhabung schwindet, solange die Anwendung wirkt – oder sie gar mittels
Legitimation, im Religiösen durch Kanonisierung ihrer Auslegung enthoben ist.
(Selbst bei Seinem letzten Abendmahl geht Christus vom jüdischen Ritus etwa des
Pessachs aus, indem er es als künftigen Kern der Eucharistie als sakrosankt
erhebt und damit den Befreiungscharakter der jüdischen Pessach-Tradition
übernimmt und ihm quasi als Erlösung aus der Gefangenschaft der Untugend in
seinem, nämlich christlichen Sinne Vervollkommnung verleiht).
Aus Gebrauch spezifischer
Abfolgen, durch Handlungsweisen, Verhalten und Einstellungen, entsteht
Brauchtum. Aus gefestigten, als bewährt angesehenen und verbreiteten
Verhaltensweisen entwickelt sich Sitte, nämlich als formbestimmendes Verhalten.
Schließlich entsteht die Vorstellung von Moral als Gesinnungs-betonte
Grundeinstellung.
All diese etablierten
Handlungsweisen führen, zwar graduell unterschiedlich, zu Normierungen, also
zur Regelbildung. Verbindliche Geltung erlangen diese Gebilde mittels
Legitimation durch offizielle, als kompetent anerkannte Institutionen.
Folgerungen daraus sind möglich:
Es sind dauerhafte oder Übergangsriten (Wandel im Laufe eines Lebens) zu
unterscheiden. Riten erzeugen Solidaritätssinn, bewahren diesen und wirken als
dessen Bekundung, eben Identifikation. So stiften sie zumindest nach außen hin
Sinn, fördern Gruppenbildung und bewirken dabei auch Rollenzuweisung. In
außerordentlichen Vollzügen sind Riten sogar Mittel, in mythisch ekstatische
Zustände zu führen.
Allerdings ist das Abgleiten in
einen Ritualismus gegeben: Durch das Schwinden der kritischen Haltung im Umgang
mit sich stets mehr oder minder festigenden Einstellungen und Verhaltensweisen
entsteht Stereotypisierung. Es bilden sich automatische, möglicherweise
unkontrollierte Reaktions-Schemata. Diese erleichtern zwar vieles, da
verhältnismäßig reflektionfrei, können sich jedoch
auch situationsfern verfestigen, was zur Fehlleinstellung und -leistungen
führt.
Sinne vereinnahmender Ritus durch
bindenden, ja fesselnden Ästhetizismus befriedigt das Glaubensmühen
oberflächlich, verdeckt es mit dem trügerischen Schein der Begnügung,
etwa seine Glaubenspflicht erfüllt zu haben.
Es besteht gleichfalls die
Neigung, mit Riten die Mitteilungsdefizite zu überdecken, sie nämlich nicht als
Rahmen, sondern als Substanz zu begreifen.
Im Idealfall werden Riten in der
Qualität inspirierender Gesten praktiziert.
I. Vermerke zur Eucharistie aus katholischer Sicht
"Das ist mein Leib" –
die Worte als "wahrer Gott und wahrer Mensch" beziehen sich auf Seine
leibliche Existenz als Element Seiner Irdischheit, in
der Er sich laut Schrift und Glaubenssatz dargebracht hatte. Aus dieser begab
Er sich durch die Vollendung der Erlösungstat heraus in seine Allwesenheit des
Göttlichen. Er lässt die Wirkung Seiner Erdenexistenz, besagter Erlösungstat,
all Seinen an Ihn Glaubenden angedeihen. Er hat mit der Wirkung der zitierten
Wandlungsworte die Überwindung der Spaltung von realem und idealem Sein zur
Bildung des mythischen (sozusagen) realidealen Glaubens im Bewusstsein
geschaffen.
Wer sich als Alltagschrist jedoch
nicht zu starkem mythischen im Grunde Fühldenken bewegen kann, dem wird kaum
rational nachvollziehbar sein, dass Er durch die Transsubstantiation, also als
in deren substantieller Wandlung, in Brot und Wein als gegenwärtig zu
betrachten sei. Denn die äußere Gestalt der Gaben – philosophisch nach
Aristoteles: ihre Akzidenz – verbleiben in ihrer Beständigkeit und erscheinen
weiter als Brot und Wein. (Der Lehrmeinung der Transsubstanz und der ständigen
Gegenwart von Christus nach der Wandlung folgen auch die orthodoxe und die
altkatholische Theologie.) Möglicherweise um den Glaubenden die Last des
Zweifels, der immer wieder wegen der rational unlösbaren Problematik auftaucht,
zu nehmen, ist es den Katholiken zu glauben geboten, und zwar mittels Dogmas
seit Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts des Tridentinischen Konzils. (Hünermann,
Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen,
Freiburg 2010)
Auch "praktizierende"
Katholiken werden zudem von einer Reihe von Einwänden bedrängt:
Denn gerade alle, die von der
unermesslichen Erhabenheit des Schöpfers überzeugt sind, werden sich fragen, ob
es nicht zumindest grenzwertig blasphemisch, also beinahe lästerlich ist, von
einer beständigen realen Gottesanwesenheit, im "gewandelten" Brot und
Wein auszugehen? Sehen sie beispielsweise die Verwahrung des geglaubt
Göttlichen in einem Tabernakel.
Hinzu kommen im Katholischen weitere
den Kern der Eucharistie begleitende Bedenken. Ausschließlich Männern wird
Zugang zur Weihe gewährt. Diese dadurch dann erfolgte Salbung gipfelt immerhin
darin, irdischen Gaben von Brot und Wein göttliche Wesenheit als mythische
Substanzveränderung angedeihen lassen zu können. Und dies geschieht allein
wegen des sozusagen eigenkräftigen Rituals des "ex opere
operato", also aufgrund der vollzogenen
sakramentalen Handlung. (Katechismus der Katholischen Kirche, München 2005) Etwas vollzogenes Sakramentales, lautet
der Lehrsatz weiter, wirke unabhängig von der Einstellung dessen, der als
Geweihter "in Persona Christi" handelt. Dies geschieht
ferner frei von seiner sittlichen Qualifikation, also auch im Zustand der
schwersten persönlichen Belastung durch Verfehlungen.
Im Lutherischen wird nicht von
einer Wandlung der Gaben ausgegangen, sondern von Seiner mystischen Realpräsenz
etwa bei den Gaben oder deren Umfassung. Dies ist dem Glauben anvertraut und
nicht dogmatisiert. Es heißt hier, dass beim Abendmahl Brot und Wein
natürlicherweise als ebendiese anwesend sind, während Christi Leib und Blut auf
übernatürliche, himmlische Weise, aber nicht das Wesen der Gaben verändernd
gegenwärtig sind. Es könnte von Kon- statt Transsubstantiation gesprochen
werden – auch wenn dies lutherisch theologisch nicht ganz korrekt ist.
In anderen reformatorischen
christlichen Religionen führte das aufklärerische Ringen um die
Abendmahlthematik ebenfalls zu abweichenden Überzeugungen:
Huldrych Zwingli betrachtet das
Abendmahl als symbolischen Vollzug – wohl mit Bezug auf den Nachsatz des
Zitates: "[...] tut dies zu meinem Gedenken". Es gehe um die
Vergegenwärtigung im gläubigen Gedenken der Passion Christi. (Walther Köhler: Zwingli und
Luther, Leipzig 1953; Martin Werner: Der protestantische Weg des Glaubens, Bern
1962, S. 482 ff.) Johannes Calvin schwankt zwischen Luthers und Zwinglis Auffassung (Realpräsenz und
Symbolismus) bei der Bewertung des Abendmahls und kommt schließlich dazu: Das
Abendmahl sei eine wirkliche Gabe Gottes, nicht nur die Erinnerung daran.
Der Heilige Geist bewirke, dass Jesus Christus in Brot und Wein als Person gegenwärtig
sei.
Eine bleibende Gegenwart Jesus' in
den Gaben nach dem Abendmahl / der Kommunion lehren die Reformreligionen,
entgegen orthodoxer, katholischer und altkatholischer Theologie nicht.
Über allem Ringen um eine graduell
gewisse Glaubenshaltung könnte stehen: Sicher ist lediglich Seine Existenz im
Bewusstsein der Glaubenden als geistige Kommuni(kati)on bei jedem Gedanken an Ihn.
J. Einlassung zur Entwicklung der Bibelworte
Die Texte des Neuen Testaments
sind entstanden fast ein Menschenleben nach dem Verklingen der Worte ihres
Urhebers, nämlich aus der bereits gebildeten Überlieferung, der Erinnerung
Seiner Gefolgschaft und der Formung der Übertragung in andere Sprachen. Die
Niederschriften zu ihrer kanonisierten, also verbindlichen Form begann ab der
zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts, und zwar aus dem Aramäischen, auch
Hebräischen und vor allem dem Griechischen – der damaligen Gelehrtensprache des
Mittelmeerraumes. Trotz mutmaßlich unterschiedlicher Verfasser wurden die
Evangelien benannt nach Matthäus, einem Jünger; Markus, einem Begleiter von
Petrus; Lukas, einem Begleiter von Paulus; Johannes, einem Jünger. Es gilt zu
vergegenwärtigen, dass Erinnerung und Übersetzung immer auch von Interpretation
geleitet ist. ("Wörter des Originals haben in Übersetzungen oft unzulängliche
Entsprechungen." Alfred Läpple, Theologe, "Die Schriftrollen von
Qumran", Augsburg 1997, S. 61) Die eigentliche Aufgabe bei der Befassung
mit den Texten besteht demnach darin, die Bedeutung zu suchen, um den Sinn der
textgetragenen Gedanken zu ergründen. Es ist ein herausforderndes Ansinnen,
sich beim Befassen mit den zum Wort Gottes erhobenen Darstellungen vom bloßen
Buchstabenkonsum zu lösen. Denn das Wort Gottes lässt sich schließlich nur zum
Behelf in menschliche Sprache fassen, sollte ehrfurchtsvoll erkannt werden.
Grundsätzlich wäre dazu auch
förderlich, das Aussagevolumen vom aus der Zeit gefallenen Ausdrucksklang zu
befreien. Die Bedeutung der Textaussage wäre sprachlich über die
Jetztbegrifflichkeit ins Verständnis unserer Zeit zu übertragen, in deren
Gebrauch sie gebracht werden müsste (was der Urheber, also Er, eben auch mit
den Mitteln, nämlich Beispielen Seiner Zeit handhabte).
Ähnliches gilt für das umrahmende
Zeremoniell der Gottesdienstpraxis. Es sollte jedoch nicht in
"ritualistisches Entertainment"* gebracht werden und sich ihre
Vollzieher nicht als "Eventpfaffen"* verstehen. (*Thomas Kaufmann, FAZ 03.11.2022)
Ähnlichkeiten in der Antike mit
der Jesus-Darstellung und seiner mythischen Abkunft
Die Anthropomorphisierung,
die Vermenschengestaltlichung nämlich, ist seit je in
allen jenseitsgläubigen Glaubenswelten gegeben gewesen, also die Zumessung von
menschlicher Gestalt der mythischen Figuren und darüber hinaus die Irdischheit überschießende Handlungsfähigkeit nebst
Überwindungskraft des Diesseitigen, der Geworfenheit.
In der Mythologie von jenseitigen
Gestalten bei den Griechen und Römern, ebenso den Ägyptern gab es immer schon
Verflechtungen über Grenzen der jeweiligen scheinbar einmaligen und daher
festgefügten Anschauungen hinweg, sozusagen "kulturüberschreitende
sinnstiftende Erzählungen". Eine andere Perspektive tut sich dabei auf,
wenn von im Menschen angelegten Grundbedürfnissen ausgegangen wird, aus denen
heraus die sich ähnelnden Konstrukte bilden. Es kann u. U. sogar von Gefügen
eines Kollektivbewusstseins gesprochen werden. Bei ihrer Aktivierung handelte
es sich wohl um Übernahmen aus dem Bedürfnis heraus, an Bestehendes und
vorwiegend urzeitlich Überliefertes anzuknüpfen und es als schöpfungsgegeben
auszuweisen. Außerdem könnte als Motiv der Übernahme dieser in äußerster
Vielfältigkeit erscheinenden mythischen Erzählungen und Auslegungen eine
ordnende, dankbar angenommene Befreiung als förderlich für das missionierende
Anliegen des christlich konzentrierten Glaubensgutes erblickt werden. Dadurch
erleichterten diese im Grunde Nebeneffekte die Übermittlung des Kerns der
geistigen Gehalte. Diese Verbildlichungen wurden somit allerdings zu religiösem
Inventar, zumal damit allgemein menschliche Erwartungen, etwa vom Daseinsheil
abgedeckt werden konnten. Im Grunde könnten diese Gemenge aus irdischem Dasein
und Übernatürlichkeit der im Bewusstsein erzeugten Figuren aber in der
mutmaßlich fortgeschrittenen Denkfähigkeit unserer Zeit heraus zur Abstraktion
anregen und somit Eingang zur Vertiefung der religiösen Inhalte in geistige
Qualitäten dienen. Also von der fabulösen Irdischheit
zur logischen Geistigkeit könnte sich die Glaubensrichtung bewegen.
Beispiele aus vorchristlichen
Glaubensüberlieferungen, gemessen an der gottmenschlichen Gestalt des Jesus von
Nazareth:
- Osiris ist gestorben und sei
wieder auferstanden. Und zwar lt. Legende von seinem Bruder Seth ermordet und
zerstückelt – von Isis, der Schwester und Gattin, wieder erweckt. (Jan Assmann: Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2003) Osiris galt als Richter der
Toten. Wie Jesus diese Rolle innehat, denn er werde "[...] die Lebenden
und die Toten richten [...]". (Timotheusbrief
4,1-2)
- Asklepios, römisch Äskulap: Er
habe heilende Kräfte und könne Tote auferwecken. "Allerdings fürchtete
Zeus – nach Hades' Klage – ob des Erfolges von Asklepios' Heilkünsten, dass
kein Mensch mehr sterben würde. Er schleuderte daraufhin einen tödlichen Blitz
auf Asklepios." (Klaus Meister: Die griechische Geschichtsschreibung, Stuttgart
u. a. 1990, Diodor 4,71)
- Herakles: Ein Sohn von Zeus (Homer, Ilias 19,96–99), der nach seinem Tod zum Olymp
aufgestiegen sei.
- Romulus und Remus seien
göttlicher Abkunft und aus einer mütterlichen Jungfrau hervorgegangen. Mars
vergewaltigte die Vestalin Rhea Silvia, und sie empfing von ihm die Zwillinge
Romulus und Remus. (Adolf Schirmer u. a., Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1897) Allerdings seien sie von einer
Wölfin gesäugt und später in einer Hirtenfamilie aufgezogen worden.
- Zur Gottes-Zeugung in Verbindung
mit der Jungfräulichkeit: In Ägypten verhieß Gott Amun-Re der jungfräulichen
Königsgattin den Thronerben, wohnte ihr als Pharao bei. Er erkannte ihn im Himmel als seinen Sohn an. (Emma Brunner-Traut: Die Alten
Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen, Stuttgart 1987)
- In Persien galt der endzeitliche Saoschyant als von Zarathustras Samen gezeugt, den eine badende Jungfrau aus dem Wasser empfangen
habe. (Mary Boyce, Handbuch der Orientalistik, Leiden 1975)
- Nach Plutarch nahm Alexanders
Mutter Olympia für sich in Anspruch, von Achilleus, einem Sohn des Zeus, abzustammen. Gemäß einer von ihr benutzten Darstellung stamme Alexander aus einem
traumhaften Beiwohnen von Zeus mit ihr ab.
Eine der biologischen Wirklichkeit
entgegenstehende "immerwährende Jungfräulichkeit" ist in der
katholischen und orthodoxen Kirche Glaubensgrundsatz. Während andere
Glaubensberichte von Jungfrauenempfängnis, nicht aber von Jungfrauengeburt
sprechen.